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Digitalisierung im Einkauf: Prof. Bogaschewsky zur Studie 2021

70 Prozent der befragten Unternehmen finden Transparenz über globale Beschaffungsmärkte wichtig oder sehr wichtig,“ so fasst Prof. Ronald Bogaschewsky eine zentrale Erkenntnis seiner Studie „Fortgeschrittene digitale Lösungen zur Unterstützung von Einkauf und SCM“, die er gemeinsam mit Prof. Holger Müller von der HTWK Leipzig durchführt, zusammen. Im Interview erklärt er, warum dieses Ergebnis überraschend ist und einen Paradigmenwechsel im Einkauf darstellt. Und wie steht es eigentlich um das Thema Nachhaltigkeit im Einkauf? Der Experte gewährt im B2B-Radar eine exklusive Vorschau auf die Studie, die Mitte Juni 2021 erscheinen wird. Weitere Themen:

  • Insights: So denken die Teilnehmenden unserer Online-Konferenz Indirekter Einkauf über strategische Themen im Einkauf
  • Markttrends: Entwicklung der Einkaufsaktivität nach Unternehmensgröße und Gewerbetyp
  • B2B News: Weitere Einkaufsstudien zum Nachlesen
  • Mercateo Initiativen: Daten, Digitalisierung, Nachhaltigkeit – Insights aus der OKIE
  • Experten-Interview

    Prof. Ronald Bogaschewsky, Universität Würzburg / Centrum für Supply Management GmbH

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    Das B2B-Radar geht in die Sommerpause. Die nächste Folge erscheint am 16.09.2021.

    Das Interview zum Nachlesen

    Hier können Sie das Gespräch mit Prof. Bogaschewsky in voller Länge nachlesen:

    Studiendesign Digitalisierung im Einkauf 2021
    Herr Bogaschewsky, Ihre Studie, die Sie jährlich zum E-Procurement gemeinsam mit Prof. Müller von der HTWK Leipzig durchführen, ist mittlerweile ein Klassiker in der Branche. Sie haben die Umfrage in diesem Jahr weiterentwickelt; der Fokus sind „Fortgeschrittene digitale Lösungen zur Unterstützung von Einkauf und SCM“. In Kürze veröffentlichen Sie die Ergebnisse. Bevor Sie uns einen exklusiven ersten Einblick gewähren, würde ich gern einmal hinter die Kulissen schauen: Wer steckt hinter der Studie, wen befragen Sie, wieviel Zeit vergeht vom ersten Entwurf bis zum Ergebnis? Und haben Sie vielleicht auch ein paar Zahlen für uns?

    Ja, das ist in der Tat eine Sache, die häufig gar nicht so präsent wird, wenn man sich die Studie dann anschaut, obwohl der komplette Bericht je nachdem, wie viel wir da reinpacken, schon bis über 250 Seiten umfasst hat. Aber grundsätzlich ist es natürlich so, dass wir die Studie für die Praxis machen. Das heißt, wir machen jetzt keine wissenschaftliche Hypothesengenerierung auf Literaturbasis und so weiter, wie man das aus der Wissenschaft eigentlich kennt. Das brauchen wir, glaube ich, in dem Fall nicht. Das würde auch keinen Sinn machen, weil wir natürlich ganz eng am Puls der Zeit sein wollen und die allerneuesten Entwicklungen auch mit betrachten wollen und die Meinungen der Praktiker da benötigen, um auch so die zukünftigen Trends gut abbilden zu können.

    Nichtsdestotrotz muss man sich natürlich in dem Umfeld auch sehr gut auskennen. Das heißt: Welche Lösungen sind schon am Markt? In welche Richtung denken die vielen Start-ups? Wie entwickeln sie sich perspektivisch weiter? Und auf der anderen Seite, sich die Frage stellen: Wo drückt denn aus unserer Sicht der Schuh bei den Anwendern, also bei den Unternehmen, den Einkäufern, den Beschaffungsabteilungen? Und aus dem Ganzen versucht man dann einen Fragebogen zu schneidern, der auf der einen Seite relativ eindeutig ist, sodass jeder weiß, worauf er da eigentlich antwortet. Sie können dann nicht auf einer halben Seite die Frage erläutern. Die Frage muss knackig sein und darf aber nicht solche Zweideutigkeiten enthalten, die man unterschiedlich verstehen kann, je nachdem, wie das Unternehmen selber jetzt aufgestellt ist und welchen Hintergrund der jeweilige Antwortende aus dem Einkauf hat. Und das ist eigentlich die große Herausforderung, wo sich dann auch zeigt, wenn ich andere Studien sehe, ob jemand da schon mit viel Erfahrung rangegangen ist oder einfach mal eine Studie gemacht hat, um jetzt auch in der Analyse im Nachgang Aussagen machen zu können, die nicht nur statistische Signifikanz haben. Das ist das eine, dass wir ausreichend viele Antworten haben, aber auch, dass man relativ klar sagen kann: Ja, wir sehen dieses Thema potentiell eher positiv oder negativ beantwortet. Und dann kann man natürlich noch unheimlich viel reininterpretieren und „Wenns und Abers“ machen.

    Aber weil Sie auch nach dem Aufwand gefragt haben, da stecken viele Wochen Arbeit in der Tat auch drin, wo ich auch ganz intensiv mit dem Professor Müller interagiere. Er ist früher Mitarbeiter bei mir gewesen, schon als ich noch an der TU in Dresden tätig war und dann auch mit nach Würzburg gekommen ist, hier seine Promotion abgeschlossen hat und dann zurück nach Leipzig gegangen ist, wo er dann seine Professur bekommen hat. Wir sind ein sehr gut eingespieltes Team, wenn man da sowohl die Wirtschaftsinformatikseite als auch das Prozessuale mit betrachtet. Und ich versuche vor allen Dingen diese strategischen Aspekte zu beleuchten. Und nach mehreren Runden des Hin- und Her-Ping-Pongs kommen wir zu einem Fragebogen, der dann programmiert bzw. als Online-Fragebogen implementiert wird. Und dann gehts natürlich in das Marketing, auch im Markt die vielen, vielen Unternehmen anzusprechen und zu sagen: Mensch, wir haben ja eine tolle Sache, was dabei rauskommt, da könnt ihr auch etwas daraus lernen, wenn ihr euch mal vergleicht mit den Antworten, wie sie die Gesamtheit gegeben hat. Also es ist vom Aufwand nicht auf die Stunde genau gerechnet. Das möchte ich gar nicht machen, denn ich weiß gar nicht, was meine Frau dazu sagen würde, wieviel Stunden wir reinbuttern! Aber es ist halt hoch spannend. Wir machen das seit einigen Jahren und möchten das jetzt auch noch einige Jahre fortsetzen. Wie gesagt, immer mit einer gewissen Weiterentwicklung, was die aktuellsten Themen und Entwicklungen im Rahmen der Digitalisierung angeht.

    Positiver Trend: Einsatz fortgeschrittener digitaler Tools
    Gab es bei den Ergebnissen etwas, das Sie überrascht hat?

    Jetzt in diesem aktuellen Durchlauf, meinen Sie? Überrascht kann ich eigentlich nicht sagen, also eher im Sinne einer positiven Überraschung, dass das, was wir erhofft haben, so möchte ich es mal fast sagen. Wobei man hofft da nicht, man macht eine neutrale Untersuchung und stellt die Fragen auch so, dass sie objektiv neutral sind. Aber die positive Sicht hinsichtlich des Einsatzes fortgeschrittener digitaler Tools und zwar zu dem Zweck, den Einkauf weiter nach vorne zu bringen, also über die schon seit 20 Jahren jetzt laufende Automatisierung der operativen Prozesse hinaus. Jetzt wirklich zu sagen: Wir gehen in den strategischen Einkauf, wir brauchen da Entscheidungsunterstützung, wir brauchen Support-Assistenzsysteme, Big Data Analytics mit KI, ohne KI, das spielt jetzt gar nicht mal so die Rolle. Wir brauchen Plattformen, alles diese modernen Entwicklungen. Dass dieser Trend schneller sich zu verfestigen scheint bei den Unternehmen und die Chancen, die darin liegen, schneller erkannt werden, als es bei dem klassischen E-Procurement der Fall war. Denn da war ich immer der Meinung, nach fünf Jahren müsste es jeder haben.

    Nach 20 Jahren haben wir gemerkt, haben immer noch nicht alle die Prozesse, die Standards eigentlich schon darstellen, worüber man sich auch nicht im Wettbewerb differenzieren kann, die eigentlich nur abwickelnd sind, die mittlerweile alle hoch automatisiert ablaufen sollen. Das hat über 20 Jahre gedauert. Und jetzt merken wir schon nach drei bis vier Jahren, dass die Unternehmen alle sagen: Ja, das ist wichtig, das wollen wir, und wir wollen das auch unbedingt in Zukunft weiterentwickeln, damit wir als Einkauf noch mehr wertschöpfend sein können, eine strategische, noch wichtigere Funktion werden. Und da hoffe ich auch, dass dann die Implementierung, die ja noch lange nicht so weit ist, wie man sie vielleicht denkt oder wünscht, dass die auch dann entsprechend an Fahrt aufnimmt, sodass wir wirklich dort als Einkaufsabteilung das Unternehmen stärken können, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen und das auch nachhaltig zu machen.

    Einblick in die Ergebnisse: Transparenz über die Beschaffungsmärkte
    Was sind die aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ergebnisse? Können Sie uns schon einen ersten Einblick geben?

    Ja, sehr gerne! Wenn ich jetzt erst einmal auf die Wünsche achte … Also das war jetzt ja nicht ein Wunschkonzert in dem Sinne, sondern wir haben die Teilnehmer schon angehalten, realistische Antworten darauf zu geben, wie wichtig ihnen gewisse Aspekte sind. Und wir haben angefangen mit diesem ganzen Bereich Transparenz über die Beschaffungsmärkte. Es war uns deswegen so wichtig, weil ich auch persönlich glaube, dass das eines der großen Assets oder der großen Chancen ist, für den Einkauf dort zu punkten und sich unverzichtbar zu machen. Wenn der Einkauf nämlich für das Unternehmen, egal ob es für die Produktion ist, aber besonders auch für die Neuproduktentwicklung, also R&D, Forschung und Entwicklung bis hin zum Marketing wichtige Informationen aus dem Anbietermarkt über die Leistungsfähigkeit der Lieferanten in das Unternehmen hineinbringt, von dem dann das Unternehmen natürlich in der eigenen Produktion und Produktentwicklung massiv profitieren kann und sollte, sprich die innovativsten Unternehmen dort zu gewinnen als Partner, als Lieferanten, aber auch die flexibelsten, auch die resilientisten, auch die billigsten in anderen Bereichen (da ist ja immer nach den einzelnen Materialarten auch zu differenzieren). Und da ist allein der Wunsch, so etwas zu haben, also eine möglichst vollständige Transparenz über die globalen Beschaffungsmärkte, da haben bei uns 70 Prozent mit „Wichtig“ oder „Sehr wichtig“ geantwortet. Und das war schon eine sehr positive Überraschung auch. 70 Prozent sagen: Das wollen wir unbedingt haben. Das ist deswegen eine gewisse Überraschung, weil es ja auch ein gewisser Paradigmenwechsel ist. Denn jahrzehntelang hat man versucht, eigentlich seine Supply Base, also seinen Lieferantenpool eher zu reduzieren, um sich um die bestehenden Lieferanten besser kümmern zu können. Und jetzt macht man sozusagen das Fass neu auf und sagt: Ja, das ist zwar richtig, aber um die Richtigen auszuwählen, muss ich eigentlich viel mehr wissen, als ich bisher gewusst habe. Also ist das für mich wichtig.

    Wie gesagt, 70 Prozent „Wichtig“ oder „Sehr wichtig“. Und das ist auch genauso zu sehen für den Bereich, tatsächlich vor einer, nennen wir es mal Ausschreibung, also vor einer Konkretisierung des Prozesses, wenn es in die späteren Verhandlungen hineingeht, zu sagen: Ich möchte dort in diesen Trichter (so kann man es sehen) möglichst viele Unternehmen hineingeben und nicht schon quasi auf eine Shortlist von Anfang an setzen, sondern die Longlist eigentlich noch viel länger machen, viel größer machen, viel mehr in den Trichter reinzuwerfen. Und da sagen 75 Prozent, also Dreiviertel aller Unternehmen: Ja, das halten wir für ganz wichtig oder wichtig, weil natürlich – das ist dann die Interpretation dazu – durch die weitere größere Abbildung des gesamten Pools bekomme ich natürlich nochmal zusätzlich leistungsfähige Unternehmen hinein, die ich vorher nicht kannte. Plus ich habe natürlich unter denen, die dann da drin sind, einen höheren Wettbewerb, so dass ich quasi schon wettbewerbsorientiert die Shortlist bilde, bis ich dann später zu einer konkreten RfQ, also Ausschreibung mit Preisverhandlungen im Anschluss usw. komme. Und das ist das Wichtige, dass man dort auch diesen Paradigmenwechsel zur Kenntnis nimmt. Die Leute sagen: Wir haben heute mit Tools, die Big Data Analytics machen, die teilweise oft oder auch häufig, weil es gar nicht anders geht, KI-basiert, also mit künstlicher Intelligenz, die Voranalyse so macht, erstmal die ganzen Lieferanten identifiziert und dann voranalysiert und das so streamlint und unterstützt, dass ich gar nicht zusätzlichen Aufwand da habe. Das haben die Leute scheinbar schon so weit verstanden, dass sie sagen: Ja, das ist cool, das werden wir unbedingt nutzen wollen, um dann auch stärker in den Wettbewerb, also wettbewerbsrelevante Ausschreibungen machen zu können und dabei gleichzeitig aber auch die Allerbesten schon im Pool der infrage kommenden zu haben.

    Einblick in die Ergebnisse: Paradigmenwechsel Lieferantenpool erweitern
    Glauben Sie, dass dieser Paradigmenwechsel durch die Krise beschleunigt wurde?

    Zum Teil sicherlich. Da gibt es mehrere Effekte, die sich überlagern. Wir sind ja in der Befragung noch vor der Zeit, wo diese extreme Verknappung eigentlich da war. Das lief bis Ende des Jahres, bis in den Januar, Februar rein. Und da haben wir natürlich jetzt oder im ersten Quartal auch noch dieses Jahres … Da haben sich diese extremen Versorgungsengpässe daher jetzt erst aufgebaut, die im Nachgang der Krise auch erst entstanden sind. Ich glaube, es überlagern sich da verschiedene Dinge, die eigentlich eine Rolle spielen an der Stelle. Also einmal hat man sich grundsätzlich über die Zukunft des Einkaufs an vielen Stellen Gedanken gemacht. Und da muss ich auch sagen, wir haben ähnliche Fragen in den alten Studien auch gestellt oder in diese Richtung immer wieder gearbeitet und gedacht, dass wir versucht haben zu vermitteln: Was ist eigentlich die Kernkompetenz des Einkaufs? Warum ist er strategisch wichtig? Warum wird er nicht einfach abgeschafft und automatisiert? Und da kommt man natürlich als erstes auf das Thema Beschaffungsmarkt-Transparenz: Das ist das, mit dem alles anfängt. Alles danach ist auch wichtig, aber mit der Beschaffungsmarkt-Transparenz und den Strategien, die ich daraus dann später generiere, mit den Lieferanten, die ich dort kennenlerne, die zur Verfügung stehen. damit beginnt sozusagen die ganze strategische Arbeit.

    Und ich glaube, diese Erkenntnis war auch schon vor der Pandemie vorhanden. Das hat jetzt natürlich nochmal aus meiner Sicht auch eine Beschleunigung erfahren, weil wir jetzt sehen, dass wir natürlich mehr Resilienz brauchen, also dass wir nicht nur wegen der ganz aktuellen Versorgungsengpässe, die wir haben, sondern auch wegen der Lockdowns, die wir dann in der heißen Phase der Pandemie hatten, auch als China zu war usw. Auch im Nachgang jetzt natürlich die fast schon horrenden Preise für Container, die bis 12 000 und mehr Dollar hochgehen, die vor zwei Jahren 500 gekostet haben. Das sind alles natürlich auch Folgewirkungen eines solchen externen Schocks. Und viele, viele Einkäufer, mit denen ich spreche, sagen auch: Ja, wir müssen uns Gedanken machen und das machen wir auch aktiv, z. B. etwas unabhängiger zu werden von Südostasien, zumindest direkt von China, auch vor dem Hintergrund, dass wir nie wissen, wie das politisch weitergeht in einem solchen Land. Und so werden teilweise ganz gezielt Quellen, sei es jetzt in Osteuropa oder auch in Indien recherchiert, um zu sagen: Wir brauchen da zweite, dritte, vierte Quellen oder zumindest potentielle Quellen, um Plan B und Plan C dann zu entwickeln. Und das passiert zunehmend auch systematisch, also dass man nicht nur sagt: Ich habe jetzt zwei, drei Güter und Lieferanten, da habe ich ein Problem, sondern zu sagen: Ich challenge mal – wie man neudeutsch sagt – meine gesamte Lieferantenpool-Struktur und setze die mal alle wieder dem Wettbewerb aus, was ja häufig auch über ein paar Jahre nicht so gemacht wurde, weil man einfach gar nicht die Zeit und die Möglichkeiten hatte. Mit diesen digitalen Tools bin ich plötzlich dazu in der Lage.

    Und das gemeinschaftlich mit dem Thema politische Krisen, die teilweise erst noch kommen, wenn man die autokratischen Systeme in vielen Ländern sieht, die wir ja haben; mit der Erfahrung Pandemie, mit der Erfahrung, dass sich auch mal im Suez-Kanal ein Containerschiff querlegen kann, was jederzeit wieder passieren kann; mit den Themen über den Klimawandel, die wir alle ja erst noch vor der Brust haben, die ja auch alle noch auf uns zukommt. Da gibt es auch den Global Risk Report z. B. vom World Economic Forum. Er hat fast nur noch Naturrisiken als die Hauptrisiken gelistet, hinsichtlich Auswirkung und Eintrittswahrscheinlichkeit. Und wenn man das alles mal zusammennimmt, dann sieht man natürlich, dass die Leute fangen immer mehr systematisch daran zu arbeiten, ihre weltweiten Wertschöpfungsnetzwerke zu überprüfen und da, wo sie inakzeptable Risiken zu sehen, auch etwas zu tun. Also zweite, dritte Quellen aufzubauen, auch Verlagerungen vorzunehmen und nicht nur rein, wie es viele Jahrzehnte war, die Kosteneffizienz über alles zu stellen. Und diese Entwicklung ist ganz eindeutig zu sehen.

    Wie gesagt, es überlagern sich mehrere Effekte. Ich sehe immer die Pandemie bei solchen Sachen – und das gilt auch für das ganze Thema Risikomanagement – als Brandbeschleuniger. Ganz plötzlich führen die Leute Systeme ein, mit denen sie ihre Risiken besser managen können. Jetzt haben wir noch das Thema Lieferkettengesetz, wo sie von Gesetzesseite gezwungen werden, ein gutes Risikomanagementsystem zu implementieren, selbst wenn sie von der Größe des Unternehmens erst gar nicht betroffen sind. Als Zulieferer eines Unternehmens, das betroffen ist, hier in Deutschland, sind sie immer mit dran, weil die sind ja gezwungen, das über die gesamte Kette auch zu implementieren. Und insofern hier gibt es mehrere Dinge, die alle in die gleiche Richtung gehen, also besseres Risikomanagement und Überprüfen meiner Quellen. Und das verbunden mit den digitalen Tools, über die ich sowieso in der Lage bin, die besten Lieferanten zu identifizieren und an mich zu binden, sozusagen, was früher so in dem Maße viel zu viel Aufwand vielleicht gekostet hat.

    Krise als Brandbeschleuniger für Paradigmenwechsel im Einkauf
    Glauben Sie, dass dieser Paradigmenwechsel durch die Krise beschleunigt wurde?

    Zum Teil sicherlich. Da gibt es mehrere Effekte, die sich überlagern. Wir sind ja in der Befragung noch vor der Zeit, wo diese extreme Verknappung eigentlich da war. Das lief bis Ende des Jahres, bis in den Januar, Februar rein. Und da haben wir natürlich jetzt oder im ersten Quartal auch noch dieses Jahres … Da haben sich diese extremen Versorgungsengpässe daher jetzt erst aufgebaut, die im Nachgang der Krise auch erst entstanden sind. Ich glaube, es überlagern sich da verschiedene Dinge, die eigentlich eine Rolle spielen an der Stelle. Also einmal hat man sich grundsätzlich über die Zukunft des Einkaufs an vielen Stellen Gedanken gemacht. Und da muss ich auch sagen, wir haben ähnliche Fragen in den alten Studien auch gestellt oder in diese Richtung immer wieder gearbeitet und gedacht, dass wir versucht haben zu vermitteln: Was ist eigentlich die Kernkompetenz des Einkaufs? Warum ist er strategisch wichtig? Warum wird er nicht einfach abgeschafft und automatisiert? Und da kommt man natürlich als erstes auf das Thema Beschaffungsmarkt-Transparenz: Das ist das, mit dem alles anfängt. Alles danach ist auch wichtig, aber mit der Beschaffungsmarkt-Transparenz und den Strategien, die ich daraus dann später generiere, mit den Lieferanten, die ich dort kennenlerne, die zur Verfügung stehen. damit beginnt sozusagen die ganze strategische Arbeit. Und ich glaube, diese Erkenntnis war auch schon vor der Pandemie vorhanden. Das hat jetzt natürlich nochmal aus meiner Sicht auch eine Beschleunigung erfahren, weil wir jetzt sehen, dass wir natürlich mehr Resilienz brauchen, also dass wir nicht nur wegen der ganz aktuellen Versorgungsengpässe, die wir haben, sondern auch wegen der Lockdowns, die wir dann in der heißen Phase der Pandemie hatten, auch als China zu war usw.

    Auch im Nachgang jetzt natürlich die fast schon horrenden Preise für Container, die bis 12 000 und mehr Dollar hochgehen, die vor zwei Jahren 500 gekostet haben. Das sind alles natürlich auch Folgewirkungen eines solchen externen Schocks. Und viele, viele Einkäufer, mit denen ich spreche, sagen auch: Ja, wir müssen uns Gedanken machen und das machen wir auch aktiv, z.B. etwas unabhängiger zu werden von Südostasien, zumindest direkt von China, auch vor dem Hintergrund, dass wir nie wissen, wie das politisch weitergeht in einem solchen Land. Und so werden teilweise ganz gezielt Quellen, sei es jetzt in Osteuropa oder auch in Indien recherchiert, um zu sagen: Wir brauchen da zweite, dritte, vierte Quellen oder zumindest potentielle Quellen, um Plan B und Plan C dann zu entwickeln. Und das passiert zunehmend auch systematisch, also dass man nicht nur sagt: Ich habe jetzt zwei, drei Güter und Lieferanten, da habe ich ein Problem, sondern zu sagen: Ich challenge mal – wie man neudeutsch sagt – meine gesamte Lieferantenpool-Struktur und setze die mal alle wieder dem Wettbewerb aus, was ja häufig auch über ein paar Jahre nicht so gemacht wurde, weil man einfach gar nicht die Zeit und die Möglichkeiten hatte. Mit diesen digitalen Tools bin ich plötzlich dazu in der Lage. Und das gemeinschaftlich mit dem Thema politische Krisen, die teilweise erst noch kommen, wenn man die autokratischen Systeme in vielen Ländern sieht, die wir ja haben; mit der Erfahrung Pandemie, mit der Erfahrung, dass sich auch mal im Suez-Kanal ein Containerschiff querlegen kann, was jederzeit wieder passieren kann; mit den Themen über den Klimawandel, die wir alle ja erst noch vor der Brust haben, die ja auch alle noch auf uns zukommt. Da gibt es auch den Global Risk Report z. B. vom World Economic Forum. Er hat fast nur noch Naturrisiken als die Hauptrisiken gelistet, hinsichtlich Auswirkung und Eintrittswahrscheinlichkeit. Und wenn man das alles mal zusammennimmt, dann sieht man natürlich, dass die Leute fangen immer mehr systematisch daran zu arbeiten, ihre weltweiten Wertschöpfungsnetzwerke zu überprüfen und da, wo sie inakzeptable Risiken zu sehen, auch etwas zu tun. Also zweite, dritte Quellen aufzubauen, auch Verlagerungen vorzunehmen und nicht nur rein, wie es viele Jahrzehnte war, die Kosteneffizienz über alles zu stellen. Und diese Entwicklung ist ganz eindeutig zu sehen. Wie gesagt, es überlagern sich mehrere Effekte.

    Ich sehe immer die Pandemie bei solchen Sachen – und das gilt auch für das ganze Thema Risikomanagement – als Brandbeschleuniger. Ganz plötzlich führen die Leute Systeme ein, mit denen sie ihre Risiken besser managen können. Jetzt haben wir noch das Thema Lieferketten gesetzt, wo sie von Gesetzesseite gezwungen werden, ein gutes Risikomanagementsystem zu implementieren, selbst wenn sie von der Größe des Unternehmens erst gar nicht betroffen sind. Als Zulieferer eines Unternehmens, das betroffen ist, hier in Deutschland, sind sie immer mit dran, weil die sind ja gezwungen, das über die gesamte Kette auch zu implementieren. Und insofern hier gibt es mehrere Dinge, die alle in die gleiche Richtung gehen, also besseres Risikomanagement und Überprüfen meiner Quellen. Und das verbunden mit den digitalen Tools, über die ich sowieso in der Lage bin, die besten Lieferanten zu identifizieren und an mich zu binden, sozusagen, was früher so in dem Maße viel zu viel Aufwand vielleicht gekostet hat.

    Drei Viertel der Unternehmen erkennen Nachhaltigkeit als Kernthema
    Sie haben in der Studie auch zu Nachhaltigkeit in der Beschaffung gefragt. Wir bei Mercateo haben vor einigen Wochen die OKIE (die Online Konferenz Indirekter Einkauf) digital veranstaltet, und auch wir haben unsere Gäste gefragt, welche Rolle Nachhaltigkeit in ihrem Unternehmen spielt. 52 % fanden das Thema wichtig, hatten aber noch keinerlei Maßnahmen zur Umsetzung ergriffen, 11 % sagten sogar, Nachhaltigkeit spiele bei ihnen gar keine Rolle. Aus Ihrer Sicht ein Ausschnitt aus der Realität? Und glauben Sie, dass die Pandemie das Thema langsamer gemacht hat?

    Ich kann das von den statistischen Daten auf jeden Fall voll bestätigen. Wir haben hier bei dem Thema Evaluation von Lieferanten und Risikoanalyse genau diese Dinge auch abgefragt. Einmal unterschieden für das Thema vor der Kontrahierung, also in der Vorauswahl von Lieferanten, mit denen ich dann verhandele, und dann später bei bestehenden Lieferantenbeziehungen. Und die Werte unterscheiden sich da wirklich fast nur marginal. Und wenn wir da jetzt mal die umweltbezogenen Nachhaltigkeitsinformationen angehen, dann haben bei uns hier deutlich über 70 Prozent das mit „Wichtig“ oder „Sehr wichtig“ angekreuzt. Also das toppt dann Ihren Wert nochmal und wir sind bei den ethisch-sozialen Aspekten bei zwei Dritteln, also ungefähr 66 Prozent, also Bewertung mit „Wichtig“ oder „Sehr wichtig“. Wie wichtig sind diese Informationen hinsichtlich der Lieferanten? Und ich würde mal sagen, nachdem jetzt nochmal die Diskussion um das Lieferkettengesetz deutlich an Fahrt gewonnen hat, möchte ich mal sagen, würde wahrscheinlich dieser Balken zu den anbieterspezifischen Informationen bei ethischen und sozialen Aspekten noch deutlicher gewichtet werden.

    Also summa summarum kann man fast davon ausgehen, Dreiviertel der Unternehmen haben die Zeichen der Zeit erkannt und haben gesagt: Ja, das brauchen wir, das ist wichtig, aber auch ihre Ergebnisse, wie weit das schon implementiert ist, zumindest mit modernen, fortschrittlichen digitalen Methoden, die dann auch zuverlässige und permanent aktualisierte Informationen bereitstellen. Da ist es natürlich noch bei weitem nicht so weit her. Die Tools, die jetzt auch am Markt natürlich schon verfügbar sind und sich permanent weiterentwickeln, die werden meines Erachtens auch eine große Nachfrage erleben, immer vorausgesetzt – und darauf können wir später noch zurückkommen – der Einkauf wird befähigt, über personelle, finanzielle und zeitliche Ressourcen das dann auch so zu implementieren. Erkannt, dass das wichtig ist, haben das alle und die Informationen möchten auch alle in dem Sinne, wie gesagt, „Wichtig“ oder „Sehr wichtig“ Dreiviertel. Wenn Sie noch Mittel dazunehmen, dann bleibt also kaum was an Leuten, die sagen: Das ist mir egal. Also das ist wirklich verschwindend gering mittlerweile.

    Stabile Lieferketten als nachhaltiger Wettbewerbsvorteil
    Mit Blick auf die letzten Monate ist auch das Thema „Resilienz“ von Unternehmen durch stabile Lieferketten ein viel diskutiertes Thema. Ist das für Sie nur ein Trend, oder können wir wirklich von Widerstandfähigkeit, Durchhaltevermögen, ja sogar Gestaltungswillen sprechen, wenn es um Beschaffung geht?

    Ja, das ist ein schwieriges Thema. Ich glaube, nach wie vor im Einkauf ist dieses Thema angekommen und es ist auch in den Köpfen drin. Die Realität im täglichen Einkaufsgeschäft spiegelt das noch nicht immer wieder. Allein aus der Tatsache heraus, dass auf der Geschäftsführungsebene häufig diese Message scheinbar noch nicht ganz angekommen ist bzw. wird diese oft verbunden mit der eigenen Produktion und der eigenen Verantwortlichkeit im eigenen Unternehmen. Da möchte ich jetzt gar nicht groß Vorwürfe machen, auch hinsichtlich Nachhaltigkeit genauso. Aber diese Erkenntnis, dass letztendlich ja zwischen 60 und 80 Prozent im Schnitt die Wertschöpfung ja von den Lieferanten kommt, die zugekauft wird und dass man dort eben die das größte Gefahr für Disruptionen hat und gar nicht mal im eigenen Betrieb. Da wird ja die Technologie in der Regel beherrscht, hoffe ich jedenfalls. Das ist scheinbar nicht ganz in den Köpfen der Entscheider in den Vorständen angekommen. Und dass man genau dort auch was tun muss oder mehr tun muss, z.B. indem man schlaue Plattformen nutzt, indem man eben die interessanten Dienstleister nutzt, die da Software as a Service macht, mit Big Data Analytics und KI usw. Da kann ich sehr, sehr viel proaktiv tun, um resilienter zu werden.

    Und das ist sicher auch ein bisschen meine Aufgabe. Da, wo ich eben die Chance habe, auch über diese Welt der CPOs hinaus mal die Finanzchefs und CEOs zu erwischen, denen versuchen zu verdeutlichen, dass Einkaufen eben nicht nur Bestellen und Verhandeln ist, sondern dass es unheimlich viele wichtige Tätigkeiten gibt und dieses tragende Wort, also diese nachhaltigen Wettbewerbsvorteile, das macht ein Unternehmen langfristig zukunftsfähig. Das tun die Amerikaner immer ganz besonders. Und das wird in den deutschen Unternehmen häufig verbunden mit tollen Produkten, tolles Marketing und toller Produktionstechnologie. Und das ist auch alles richtig und alles auch gut. Aber durch diese Arbeitsteilung, die wir die letzten 50 Jahre immer stärker ausgeprägt haben und durch die Globalisierung auch der Liefernetzwerke, sind wir so abhängig. Und das haben wir jetzt in der Pandemie gesehen, von unseren Lieferanten und auch von deren Ideenreichtum und deren Innovationen. Das einfach viel mehr Fokus auf diese Supply-Seite gelegt werden muss vonseiten Unternehmensführung. Und die müssen das als strategische Waffe eigentlich erkennen, um selber ein erfolgreiches Unternehmen zu gestalten und auch zu managen. Dem Einkauf selber muss man das häufig gar nicht mehr erklären. Aber er wird dann sagen (und da kommen wir vielleicht noch drauf bzw. ist das auch in der Befragung so rausgekommen): Uns fehlt die Zeit, uns fehlen die Ressourcen. Und ich kämpfe seit drei Jahren, dass ich mal hier so eine Software leasen, mieten, sonst was kann, implementieren kann, mit der ich mein Risiko besser in den Griff bekomme. Da gibt es halt viele, die da große Schwierigkeiten haben, sich durchzusetzen.

    Vermutlich auch sehr stark abhängig von der Kultur und vom Unternehmenstyp.

    Mit Sicherheit. Also der Mittelstand ist da sicherlich häufig auch etwas bodenständiger und es wird auch noch die Erfahrung und das Bauchgefühl des Unternehmers getragen. Zum Teil kann ich dem voll und ganz zustimmen. Ich habe aber auch jetzt – ich will jetzt keine Namen nennen – große Unternehmerpersönlichkeiten erlebt, die sich hingestellt und gesagt haben: Mit dem E-Commerce wird das nie was, das ist alles nix. Und der Herr war dann schon in den 80ern aber ein sehr bekannter deutscher Unternehmer. Und drei Jahre später hat dieses Unternehmen 50 Prozent seines Umsatzes mit E-Commerce gemacht und wäre ansonsten heute pleite. Also irgendwann muss man auch sagen: Die Ideen der Zukunft müssen vielleicht auch durch die etwas Jugendlicheren getragen werden, wenn die Älteren vielleicht zu konservativ sind! Und das ist jetzt nicht ganz, ganz generell gegen das Altern gesprochen, wir werden alle älter. Aber es ist einfach so. Man muss am Puls der Zeit bleiben und interagieren mit dem, was da draußen passiert. Und eigentlich spielt dann das Alter auch keine Rolle. Aber wenn ich mich zurückziehe und sage: Ich habe mal ein tolles Patent entwickelt und das produziere ich seit 30 Jahren und es wird ewig so weitergehen, dann hat man eigentlich heute verloren. Dafür ist der Wettbewerb viel zu dynamisch.

    Tipps für die Praxis: langfristige Partnerschaften mit Lieferanten
    Sie suchen intensiv den Austausch mit der Praxis. Wenn Sie aus Ihrem Fachgebiet heraus den Einkaufs-Profis in Unternehmen etwas zurufen könnten, was wäre das aktuell?

    Die meisten sind in der Tat dabei, im Moment wieder Krisenmanagement zu machen, weil das, was jetzt über uns hereingebrochen ist, mit den Versorgungsengpässen – da gibt es auch keine Zauberformel, aus der Nummer rauszukommen. Das sind externe Schocks. Da kann man sich auch sehr, sehr schwer darauf vorbereiten. Aber es gibt natürlich ein paar Learnings aus der ganzen Geschichte und das ist sicherlich das eine. Es ist gerade jetzt in der Presse wieder erwähnt worden, dass die, die gerade bei den ganz wesentlichen Teilen und Produkten, die zugekauft werden, gute und enge Partnerschaft mit Lieferanten pflegen, auch deutlich besser durch diese Krise kommen, weil das genau die sind, die auch in solchen Zeiten noch zumindest eine gewisse Versorgung bekommen. Das ist das eine.

    Das andere ist, ich glaube, der Einkauf grundsätzlich muss in die Lage versetzt werden – und wenn er das ist, wird er auch bereit sein dazu oder ist auch schon bereit – mehr langfristig zu gucken und auch das große Bild zu sehen. Wir sehen, dass wir in ganz vielen Bereichen in Zukunft Versorgungsengpässe einfach bekommen werden, weil die kritischen Rohstoffe, gerade für Zukunftstechnologien, immer knapper werden. Und da sollte man sich nicht naiv auf die Kräfte des freien Marktes verlassen, denn das sind langfristige Dinge und man muss mal genau schauen, was da die Politik tut. Die „großen“ Nationen dieser Welt, die machen das nämlich geschickt: Sie sichern sich diese Claims auf diese Rohstoffvorkommen. Und wir sind hier in Europa. Wir stehen eigentlich ziemlich blöd da oder ziemlich nackig da, sage ich mal, wenn wir uns darauf verlassen, dass der freie Markt uns permanent mit den Rohstoffen versorgen wird, die wir haben wollen. Das wird sehr, sehr schwierig und das kann man an einzelnen Dingen ablesen. Ob das nun „America first“ oder „China first“ ist, oder dass die Chinesen den afrikanischen Kontinent quasi schon gemietet haben für die nächsten 100 Jahre mit den Rohstoffquellen, es sind also Entwicklungen zusammen mit der politischen Lage, da kann man nicht wegschauen. Das ist eigentlich nicht allein Arbeit des Einkaufs. Aber ich muss einfach in die Zukunftstechnologien auch schauen, was sich jetzt entwickelt für die nächsten 20–30 Jahre. Das muss ich auch irgendwie dann mit entsprechenden Rohstoffen oder Teile, die diese Rohstoffe enthalten, versorgen können.

    Das ist auch so ein Punkt, dass man viel langfristiger denken muss. Und in diesem Zusammenhang und nicht nur weil es jetzt diese Rohstoffproblematik gibt, sondern ganz generell: Dieses Management der weltweiten Wertschöpfungskette auf der Supply-Seite, das muss eine gesamtheitliche Betrachtung sein. Es geht nicht, dass ich immer weiterhin Cherry-Picking mache und sage: Ja, jetzt haben wir den billigsten Lieferanten in Indonesien und nächstes Jahr ist er in Vietnam und übernächstes Jahr ist er vielleicht in Südafrika, sondern ich muss wirklich eine Strategie aus einem Guss haben, die wirklich mir erlaubt, die nächsten Jahre da auch vernünftig mit arbeiten zu können und eine vernünftige Abwägung zwischen Kosteneffizienz und Resilienz zu haben. Und dafür – und das ist das Gute für diese Aufgaben und auch die noch darüber hinauskommen – habe ich die Möglichkeit, eben mit den heute verfügbaren digitalen Tools und Plattformen usw. wirklich ganz, ganz effizient, also auch wirklich low-cost ohne einen großen Masterplan und jahrelange Einführung, sondern wirklich fast turnkey anschalten, testen, versuchen nach dem Motto „Agile“. Und wenn es gut läuft, kann ich Schritt für Schritt mir diese wichtigen Informationen auch beschaffen, um dann gute strategische Entscheidungen treffen zu können.

    Und am Ende des ganzen Vortrags an der Stelle sozusagen steht natürlich: Nur wenn ich intern diese Erfolge, die ich damit erziele, gut vermarkte, werde ich auch die Ressourcen bekommen, um in der Richtung weiterzumachen, weil sonst stecke ich immer in der Falle: Ich habe ja keine Leute, ich habe ja kein Geld, ich kriege die Software nicht. Also das hilft so nicht weiter. Man muss sich intern gut vermarkten und kommunizieren und überzeugen, dass man ein ganz wesentlicher, wichtiger Wertschöpfer ist und zu dieser Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens ganz entscheidend beiträgt. Genau dann kann der Einkauf auch in Zukunft eine ganz wesentliche Rolle spielen. Das wünsche ich mir sozusagen auf Vorstandsebene, weil, wie gesagt, dieser Bereich verantwortet 60 Prozent, 70 Prozent der Wertschöpfung, die durch das Unternehmen läuft. Und es kann nicht sein, dass das immer in zweiter Reihe passiert. Das ist Wertschöpfungsnetzwerk als Ganzes – so sehe ich das auch immer als Lehrstuhlinhaber für Industriebetriebslehre – eine zusammengehörige Geschichte. Und da kann ich nicht den Einkauf ein bisschen nachgeordnet sehen. Ganz im Gegenteil: Er muss integrativer Bestandteil dieser strategischen Entscheidungen sein, die dort getroffen werden.

    Mercateo Insights

    Auf unserer Online-Konferenz Indirekter Einkauf (OKIE) haben wir auch eine kleine Umfrage durchgeführt. Hier sehen Sie im Überblick, welche Rolle die Themen Business Intelligence, Digitalisierung und Nachhaltigkeit im Einkauf der Teilnehmenden spielen. Professor Bogaschewsky kommt beim Thema Nachhaltigkeit in seiner Studie zu einem ähnlichen Ergebnis. Die überwältigende Mehrheit der Unternehmen hat die Bedeutung nachhaltigen Wirtschaftens erkannt.

    Mercateo Markttrends

    Unsere Plattformdaten zeigen die Entwicklung der Einkaufsaktivität nach Unternehmensgröße und Gewerbetyp. Wir vergleichen Daten aus dem Mai 2021 mit Daten aus dem Vorjahr. War im April 2020 noch ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen, sehen wir nun einen durchweg positiven Trend und insgesamt eine Erholung in allen Unternehmenstypen. Dies ist nicht selbstverständlich, da viele gesellschaftliche Bereich auch im Mai 2021 noch teilweise im Lockdown waren. Die Wirtschaft hat sich an „das neue Normal“ angepasst. Entlang einiger Lieferketten, wie z. B. im Holz- und Stahlbereich kommt es noch immer vereinzelt zu Engpässen, aber in der Breite zeigt sich eine Stabilisierung unter neuen Rahmenbedingungen. Große produzierende Unternehmen haben im letztjährigen Lockdown-Umbruch besonders ihre Einkaufsbudgets drastisch eingefroren. Kleinere Unternehmen haben weniger deutlich reagiert. Dies zeigt sich auch in den Zahlen der jetzigen Erholung.

    Insbesondere das verarbeitende Gewerbe hat sich besonders deutliche erholt. Die Pandemie traf diesen Bereich vor einem Jahr besonders hart, weil dieser Sektor von globalen Lieferketten abhängig ist und sehr auf physischen Prozessen basiert, die durch die Homeoffice-Situation teilweise zum Stillstand kamen. Die Anpassungsfähigkeit dieser industriell-mittelständisch geprägten Betriebe ist beeindruckend.

    Volatilität in Lieferketten wird sich in Zukunft auf bestimmte Hotspots konzentrieren. B2B-Markteilnehmende werden sich mit neuen Anforderungen an Resilienz konfrontiert sehen, die über die Pandemie hinaus ein strategisches Thema im B2B sein werden.

    Mit dem Auslaufen der Corona-Beschränkungen erwarten wir in den nächsten Quartalen starke Aufhol- und Nachholeffekte. Es wird viel Bewegung in die B2B-Lieferketten kommen. Die Zunahme der Einkaufsaktivität hat natürlich positive wirtschaftliche Effekte, kann aber punktuell zu Überlastungen führen.

    Entwicklung der Einkaufsaktivität nach Unternehmensgröße und Gewerbetyp

    B2B News

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